Un-gedacht - um-gedacht –
an-gedacht…

Gedanken zum Sonntag Laetare
(22.03.2020)

 Foto Stoll Großhans

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Besucher und Besucherinnen der Homepage der Markus-Kirchengemeinde,

"Undenkbar!" – so hätte ich vor 3 Wochen noch geantwortet, wenn mir jemand gesagt hätte, dass
am Sonntag in unseren Kirchen keine Gottesdienste stattfinden. Doch die Ausbreitung des
Corona-Virus zwingt uns, manches neu zu denken, umzudenken, anders zu denken.

Raum und Nähe
In der vergangenen Woche hat für viele die Wahrnehmung des Raumes eine neue
Aufmerksamkeit und Qualität bekommen:
„Abstand halten“ – ist das Gebot der Zeit. Abstand, damit das Virus sich nicht noch schneller
ausbreitet. Da ist auf der einen Seite die inständige Bitte aller Verantwortlichen: Bleibt zuhause!
Verringert die Kontakte an einem gemeinsamen Ort. Doch da ist zugleich das Bedürfnis, Nähe
und Kontakte zu halten und einander zu unterstützen.

„Nähe trotz Distanz“ oder sogar „Nähe durch Distanz“ – geht das?
Tatsächlich ist es momentan ein Zeichen von Vernunft, Solidarität und Verantwortung, Distanz
zu wahren. Und tatsächlich können wir nur, indem wir gemeinschaftliche körperliche
Anwesenheit am selben Ort auf ein Minimum reduzieren, die Bedingung der Möglichkeit
schaffen, dass in absehbarer Zeit wieder physisch fühlbare Nähe möglich sein wird.
Zusammenstehen heißt jetzt also: „Nähe anders schaffen“ und Nähe neu suchen.

Menschliche Kontakte (neu) suchen und pflegen
In den zurückliegenden Tagen hatte ich oft das Gefühl, dass sich die Schlinge des Virus
immer enger um uns zuzieht und dass die Freiräume von Stunde zu Stunde kleiner werden. Eine
ähnlich ernste und bedrängende Situation wie momentan habe ich selbst noch nie in unserem Land erlebt. Und zugleich beobachtete ich, wie Menschen
einander zuversichtliche und aufmunternde und vor allem auch überraschende Nachrichten zukommen ließen. Mitten im Gefühl der Enge öffnete sich hie und da neue Weite. Die Nachbarn werden besonders beachtet, Menschen bieten sich an für Einkaufsdienste, sie rufen einander an, schicken sich schnell eine Whatsapp, einen Link zu einer schönen Andacht, eine Aufforderung zum „Balkonsingen“ oder zum abendlichen Vaterunser-Beten um 19.00 Uhr im Rahmen der Aktion „Hoffnungsschimmer“. Nähe hat sich in Zeiten von Corona neu und anders gestaltet.
Viele von uns werden gerade zum Runterfahren und Innehalten genötigt. Nichts ist mehr wie
es mal war! Kann es wirklich sein, dass wir einander vor kurzem noch so sorglos umarmt haben, ohne Scheu nebeneinandersaßen und einander die Hand geschüttelt haben, ist das wirklich erst ein paar Tage her? Und woher nehmen wir jetzt unsere Zuversicht?

Gottes Nähe (neu) suchen - Miteinander und füreinander beten
Im Psalm 73, 28 heißt es: Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Ich setze auf Gott, den Herrn,
mein Vertrauen. (Einheitsübersetzung, 1980)

Die Psalmen wimmeln von solchen Vertrauensbekenntnissen: Gott ist meine Zuversicht und
Zuflucht (Psalm 91, 2-4), er ist mein Licht und mein Heil (Psalm 27,1), der Herr ist mein
Hirte (Psalm 23,1) …

All diese Bilder stehen dafür: Gott ist uns nah! Gottes Nähe tut gut, er begleitet uns, auf ihn
dürfen wir hoffen, auch und gerade in Zeiten von Corona. So wie wir gerade umdenken und die Nähe zu unseren Mitmenschen auf verschiedenste überräumliche Weisen suchen und finden (!), so könnte auch diese Zeit eine Möglichkeit sein, unsere Sensorien neu oder verändert zu Gott hin zu wenden.

Das Gebet ist eine gute Form dafür. Ich möchte Sie und uns alle ermutigen, in Zeiten von Abstand, uns über die Distanzen hinweg auch im Gebet zu vereinen. Im Gebet kann ich Gott meine Sorgen und Ängste sagen, ich kann für die bitten, die krank sind, aber auch für die, die hier und weltweit in den Kliniken, Supermärkten und an vielen anderen Stellen arbeiten.
Wer lange nicht gebetet hat, kann wieder anknüpfen, so wie sich auch jetzt vielleicht mancher
menschliche Kontakt, der abgebrochen war, wieder aufnehmen lässt.

Ein Gebet von Melanie Kirschstein gefällt mir in diesen Tagen des Abstands besonders.

Du,

da bin ich
möchte nah sein
dir und mir
dem Leben
unter dem Schatten deiner Flügel
Zuflucht finden


zeig mir
was mich trennt
zeig mir
wo ich meine Sehnsucht mit den
falschen Dingen füttere
den Weg verbaue, den ich suche


gib mir Mut
zu lauschen und zu lieben
zu verzeihen
auch mir selbst
in der Tiefe
mich wandeln zu lassen

Du
nimm meine Angst, meine Schatten
Scham und Schuld
erlöse, erleuchte, wandle das Dunkel

gib mir ein Herz
das deine Stimme hört
sich tragen lässt
ins Licht

Amen
  
Ich wünsche Ihnen und uns allen viel Phantasie und Mut, in den nächsten Wochen über die Distanzen hinweg, Kontakte zu pflegen, um einander nah und verbunden zu sein.

Das abendliche Gebet um 19.00 Uhr (jeder und jede in seiner/ihrer Wohnung - mit einer Kerze im Fenster) kann eine Möglichkeit dafür sein! Ich lade Sie herzlich dazu ein!

Gott behüte Sie und bleiben Sie zuversichtlich und gesund!
Ihre Pfarrerin Barbara Stoll